Stahlzeit begeistert in Fürth mit seiner sensationellen „Schutt und Asche“-Inszenierung
Fürth. Das Intro beginnt dramatisch wie die Ouvertüre zu einer Wagneroper, zu bunten Laser-Pointern werden Feuersäulen hochgeschossen, deren Hitze bis in die letzten Reihen zu spüren ist. Der futuristisch mit viel Glitzer gekleidete Keyboarder leitet mit sphärischen Klängen ein Höllenspektakel aus donnerndem Schlagzeug und dröhnenden Bässen ein. Sechs Akteure brechen wie eine Naturgewalt auf das Festival-Gelände herein, falten die Hände wie zum Gebet und mit „Links 2, 3, 4“ setzt der Frontmann in Uniformjacke mit grimmigem Gesicht, heiserer Stimme und eindrucksvoller Gestik eine militärisch anmutende Maschinerie in Gang. Reißende Gitarrenriffs unterbrechen die Persiflage auf heroischen Nazi-Kitsch. Über das gut besuchte Steinbachwiesen-Open-Air geht ein Schrei der Begeisterung, Hände recken sich zum schwarzen Nachthimmel, Köpfe bewegen sich im mörderischen Rhythmus. Es ist der Beginn der gigantischen Inszenierung „Schutt und Asche“, mit der sich die Metalband „Stahlzeit“, nach eigenen Worten, vor ihrem Idol „Rammstein“ verbeugen möchte.
Zwei junge Zuschauerinnen aus Darmstadt bringen es auf den Punkt: „So ein gewaltiges Open Air in einem so kleinen Ort, Hut ab.“ In seiner Begrüßung erzählt der künstlerische Leiter Kurt Schmitt vom Veranstalter FC Fürth, wie sehr er und seine rund 60 ehrenamtlichen Helfer in den letzten Wochen gebangt hätten, dass ihnen die Corona-Bestimmungen doch noch einen Strich durch die Rechnung machen könnten. Daher sei die Freude über den reibungslosen Ablauf der „3-G-Kontrolle“ am Eingang sowie der alternativen Testung vor Ort umso größer. Als Support hatte die Gruppe „Tyrant Eyes“ aus Mörlenbach die Fans mit ihrem modernen Heavy-Metal-Stil schon einmal vorgewärmt. Daher ist die Stimmung schon deutlich gestiegen, als Sänger Heli Reißenweber mit rollendem „R“ von seiner „Sehnsucht“ flüstert: „Brüderchen, komm spiel’ mit mir.“ Wummernde Bässe begleiten eine Performance aus buntem Nebel und hohen Flammen. Reißenweber spricht klar artikuliert wie sein Vorbild Till Lindemann, dessen poetische Sprache selbst bei den wildesten Texten immer wieder erstaunt. „Lass mich deine Träne reiten/übers Kinn nach Afrika/wieder in den Schoß der Löwin/wo ich einst zuhause war.“
Stahlzeit gelingt die große Kunst, den mörderischen Sound mit balladesken Einflüssen fast originalgetreu wiederzugeben. Natürlich dürfen in der Horror-Pyro-Show die blutige Metzgerschürze und der überdimensionale Wurstkessel nicht fehlen. Die Messer werden gewetzt und der Frontmann zitiert theatralisch: „Heut’ treff’ ich einen feinen Herrn/den habe ich zum Fressen gern.“ Hannibal Lecter lässt grüßen.
Rammsteins mehrdeutige Texte voller Sex, Gewalt und Grausamkeit sind nicht jedermanns Sache. Doch die Stahlzeit-Fans im idyllischen Erholungsgebiet „Steinbachwiesen“ scheinen über jeden Schock erhaben zu sein oder sie sehen gar die Satire, die hinter all den Horror-Texten steht. Die Stahlzeit-Fans lassen sich von der martialischen Musik und der gigantischen Pyro-Show regelrecht hypnotisieren, wobei es sich dabei nicht nur um schwarz gekleidete Tattoo-Insider handelt. Es sind durchaus auch seriöse Ehepaare und Familien mit Kindern dabei, die völlig losgelöst im Takt der bombastischen Trommelschläge und der dröhnenden Bässe mit den Köpfen nicken.
Beim ohrenbetäubenden Knallkörpereinsatz laufen die Headbanger zu Höchstformen auf. „Ich bin kein Mann für eine Nacht“, flüstert Heli Reißenweber ins Mikro und Synthesizer-Künstler Ron Huber lässt ein wahres Feuerwerk an zerstückelten, verzerrten Klangeffekten abbrennen. Dann hält der Gott des Höllenfeuers deutlich zahmer eine Lobrede auf den „Weltempfänger“: „Radio, mein Radio/Ich lass’ mich in den Äther saugen/ Meine Ohren werden Augen.“
Mit dem Ausrollen der Stars-and-Stripes-Flagge gedenkt „Stahlzeit“ des spektakulären Konzerts ihrer Idole im Madison Square Garden. „We are living in America /Amerika ist wunderbar“, singt die Fanschar im Chor. Gegen Mitternacht explodiert noch einmal die Bühne, hohe Flammensäulen kündigen den Hammer-Song „Hier kommt die Sonne“ an, womit die Gruppe „Stahlzeit“ so theatralisch und opernhaft von der Bühne abtritt, wie sie gekommen ist.
Von Margit Raven
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Quelle: wnoz.de | 23.08.2021